Das Erdbeben am 25. April war nicht das erste Erdbeben, das ich in Nepal erlebt habe. Bereits 2011 bekam ich ein relativ starkes Beben mit. Was sich dieses Mal an dem Beben von vor 3,5 Jahren unterscheidet, ist die massive Wucht und vor allem die Dauer, mit der Nepal getroffen wurde. Da das Epizentrum nur 80 Kilometer nordwestlich von Kathmandu entfernt lag, spürte man das Beben in der Hauptstadt ebenfalls sehr stark. Die bis heute andauernden Nachbeben ließen es nicht zu, dass sich die nepalesische Bevölkerung nach der schlimmen Katastrophe erholt und beruhigt.
Am Tag des Erdbebens befand ich mich mit Julian und Ivan in dem von uns betreuten Waisenhaus Buddhist Child Home. Das Erdbeben traf uns – und alle anderen auch – aus heiterem Himmel. Die Kinder schauten im ersten Stockwerk des Hauses gemeinsam Fernsehen, als plötzlich der Strom erlosch. Einen Wimpernschlag später gab es einen heftigen Ruck, den ich als Umfallen eines schweren Objektes in einer der oberen Stockwerke deutete. Doch dann fing das Haus an zu vibrieren, um wenige Augenblicke später stark hin und her zu wanken. Es war schwer, sich auf den Füßen zu halten. Die Kinder fingen an zu schreien. Wir riefen hektisch die Kinder dazu auf, das Gebäude zu verlassen. Das überaus starke Schwanken machte es unmöglich, gerade Schritte zu gehen. Auf den Stufen wurden wir hin und her geschleudert. Bis wir das Gebäude/Gelände verließen, kam mir zu keinem Zeitpunkt der Gedanke, dass es sich um ein Erdbeben handelte. Erst als ich draußen stand, immer mehr Menschen ihre Häuser verließen und weitere Nachbeben den Boden erschütterten, war uns bewusst, dass es sich um eine unvorstellbare Naturkatastrophe gehandelt haben muss. Glücklicherweise wurde keines unserer Kinder im Buddhist Child Home verletzt.
Ich persönlich hatte nicht wirklich Angst. Alles ging furchtbar schnell. Als wir im ersten Stock standen und die Erde begann, sich heftig zu bewegen, war keine Zeit dafür, Angst zu entwickeln. Erst als wir alle gemeinsam draußen im Freien waren – und vermeintlich in Sicherheit, war mir bewusst, dass das auch alles hätte anders enden können…
Bis zum späten Nachmittag blieben wir auf dem großen freien Feld neben dem Waisenhaus. Ganze Familien und Wohngemeinschaften schlossen sich hier zusammen und harrten unter bewölktem Himmel aus. Immer wieder bebte die Erde – immer wieder wurde dies mit einem Aufschrei begleitet. Je länger wir draußen blieben, desto mehr Ausstattung wurde aus den Häusern herausgetragen. Zunächst nur Kleidung, Decken, Nahrung, Wasser und Radios; danach ganze Gaskocher, Gastanks, Geschirr und Plastikplanen. Die vielen zum Teil starken Nachbeben machten es aus Sicherheitsgründen erforderlich, unter freiem Himmel zu schlafen. Leider war das Wetter für den April ungewöhnlich kühl und regnerisch. Gegen Mitternacht fing es an zu regnen. Da die meisten Menschen auf diese Katastrophe nicht vorbereitet waren, schliefen sie ohne Zelt im Freien und wurden vom Regen böse überrascht.
Aus den Radios ertönten beängstigende Nachrichten über die Zerstörung der UNESCO Weltkulturerbestätte „Kathmandu Durbar Square“, diverse andere Monumente und Tempel sowie ganze Wohnkomplexe. Nachrichten aus Gebieten außerhalb des Kathmandu-Tals waren in den Anfangsstunden äußerst vage gewesen. Wir selbst bekamen von der Zerstörungswut – Gott sei Dank – kaum etwas mit. Die meisten Häuser in unserer Umgebung hatten nur kleinere Risse an der Gebäudefassade mitgenommen. Nichtsdestotrotz war auf den Straßen eine gewisse Panik zu spüren…
- Die ausführlichere Erlebnisschilderung könnt Ihr in dem persönlichen Nepal-Blog von Khai-Thai durchlesen.
- Ein vollständiges Interview mit Khai-Thai über seine Eindrücke, Erlebnisse, die Tage danach und über die Auswirkungen der Katastrophe auf unsere Vereinsarbeit sowie vor allem wie es den Kindern geht, gibt es zum Nachlesen auf der Webseite der EthikBank.
- Lernt Khai-Thai doch etwas genauer kennen. Hier stellt er sich vor.
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